Wie kommt die Automobilindustrie aus der Krise?

Veröffentlicht am 14. September 2020

Es sah schon besser aus für die deutsche Automobilindustrie. Über Jahrzehnte diente der Wirtschaftszweig als Aushängeschild der deutschen Wirtschaft. Allein in Deutschland arbeiten 823.000 Menschen in der Automobilindustrie einschließlich der zuliefernden Betriebe. Noch. Denn inzwischen erreichen uns quasi jede Woche neue Nachrichten über Stellenabbau und -umbau vor allem von Zulieferbetrieben. Die Zahl der in Deutschland produzierten Autos ist seit 2017 um rund 1 Millionen gesunken, lag zuletzt bei rund 4,7 Millionen (Vorjahr noch 5,2 Millionen).

Was ist passiert?

Die strukturelle Krise der Automobilindustrie ist nicht neu. Der Abgasskandal ab 2015 hat das Vertrauen in die Branche und auch die Marke “Made in Germany” massiv beschädigt. Die Flottenpolitik passte und passt noch immer nicht zu den Klimazielen. Die Elektromobilität wurde lange verschlafen. Bei der Digitalisierung hatten andere die Nase vorne. Inzwischen ist Tesla mehr wert als alle deutschen Automobilhersteller zusammen. Die Corona-Pandemie hat diese ohnehin schwierige – und zu erheblichen Teilen selbst verschuldete – Situation drastisch verschärft. Die Automobilwirtschaft befindet sich folglich in einem Zangengriff mit den Corona-Folgen auf der einen Seite und den Herausforderungen der dringend notwendigen Transformation auf der anderen.

In Sachen Automobilwirtschaft und Zukunft der Mobilität sind Verkehrsminister Scheuer und die CSU vollkommen überfordert und das nicht erst seit gestern. Der CSU-Verkehrsminister wird zu einem handfesten Standortrisiko für unsere Wirtschaft. Stur und verbissen wird ein ums andere Mal am Verbrenner festgehalten, aktuell vollkommen kurzsichtig über die Forderung einer Kaufprämie. Noch beim Autogipfel im vergangenen Jahr setzte Scheuer auf die Förderung von Wasserstoff Autos – komplett unrealistisch und viel zu teuer.

In der Zeit droht die internationale Automobilsparte uns in Sachen Elektromobilität davon zu galoppieren. Und deshalb brauchen wir ein Konzept, das uns für jeden unterstützenden Euro eine doppelte Dividende einbringt, also einen industriepolitischen Impuls, insbesondere für die vielen Zulieferer, und gleichzeitig die Stärkung der Umstellung auf die Produktion alternativer Antriebe in den Fabriken.

So hat die Automobilindustrie eine Zukunft

Das Auto von morgen fährt mit Erneuerbaren, digital vernetzt und zunehmend autonom. Ich will, dass wir in Deutschland beim automatisierten Fahren nicht nur mitmachen, sondern einen Führungsanspruch anmelden und Standards setzen und da geht es dann auch ganz zentral um die Frage nach Nutzung, Bereitstellung und Schutz von Daten und nicht um Benzin und Diesel. Statt der tausendsten Diskussion über Abwrackprämien und Reichweitenängste à la CSU würde ich mir wünschen, dass wir darüber reden, wie wir das automatisierte Fahren voranbringen und den längst beschlossenen Ausbau der Ladesäulen für E-Mobilität ganz konkret in die Tat umsetzen. Mit jeder neuen Ladesäule steigt auch die Entschlossenheit der Verbraucher, auf ein E-Auto umzusteigen.

Statt einer Kaufprämie für eine veraltete Technologie müssen wir jetzt Investitionen in Klimaschutz und Automatisierung stärken. Im Hinblick auf die angeschlagenen Zulieferbetriebe müssen wir offen ökologisch ausgerichtete teilstaatliche Beteiligungsfonds prüfen. Auch eine 4-Tage-Woche und im Zusammenhang damit mehr Zeit und Perspektiven für Weiterbildungsmöglichkeiten dürfen nicht länger Ding der Unmöglichkeit sein. Die Transformation ist längst in vollem Gange. Die Frage ist allerdings, ob auch die deutsche Industrie es schaffen wird, Teil dessen zu sein und weltweit Vorreiter für klimaneutrale, innovative Technologien zu werden. Eine kompromisslose und ambitionierte Unterstützung des ökologisch-sozialen Strukturwandels ist auch der beste Weg, um den Beschäftigten eine Zukunft zu eröffnen.

Vor allem die Unternehmen selbst sind gefragt

Eines muss dabei ohne Wenn und Aber klar sein: ein weiter so wird es nicht geben, niemand darf sich etwas vormachen. Der Staat kann nicht alles wieder gerade biegen, was über Jahre in der Automobilindustrie zu kurz kam. Bei den Unternehmen selbst wird ein tiefgreifendes Umdenken von Nöten sein. In der Studie “The Automotive Industry in the Era of Sustainability” wird klar: Nachhaltigkeit ist noch lange nicht in allen Unternehmen angekommen. Ein Beispiel: nur 44 Prozent der Autohersteller haben ein Gremium zur Überwachung von Nachhaltigkeitszielen. Die Studie zeigt, dass die Automobilindustrie Nachhaltigkeit noch nicht als Teil der Unternehmenskultur verinnerlicht hat und für die Erreichung der Ziele aus dem Pariser Klimaschutzabkommen sind noch massive Investitionen nötig (in der Studie ist von 50 Mrd. US-Dollar die Rede).

Wenn sich die Unternehmen mit Weitblick für die Mobilität der Zukunft aufstellen wollen, reicht es nicht, nur auf Elektrifizierung zu setzen – wenngleich die Klimabilanz von E-Autos besser ist, als ihr Ruf. Nein – die Automobilindustrie muss sich im Sinne der Nachhaltigkeit auf weniger Individualverkehr und mehr Sharing einstellen und einen bewussteren Umgang mit Ressourcen. Rohstoffe wie seltene Erden müssen künftig so verbaut werden, dass sie sinnvoll wieder verwertet werden können. Intelligente Lösungen umfassen daneben auch einen starken und belastbaren ÖPNV, eine attraktive und sichere Fahrradinfrastruktur (siehe auch unser Grüner Vorschlag zum Mobilpass).