Verlässliche Datengrundlage in der Pandemie entscheidend

Veröffentlicht am 12. August 2021

Kann es sein, dass die Impfquote in Deutschland deutlich höher liegt als offiziell bisher bekannt? Mehrere Medien meldeten gestern, dass laut RKI die Quote der Erwachsenen unter 60 Jahren, die mindestens einmal geimpft sind, bereits 79 Prozent betragen könnte. Dies wäre deutlich höher als die offiziell gemeldeten 59 Prozent.
Zunächst: es wäre eine wirklich sehr gute Nachricht, wenn das tatsächlich stimmen würde, wenn tatsächlich knapp 80 Prozent der Erwachsenen unter 60 bereits einmal geimpft wären. Eine hohe Impfquote ist die Voraussetzung dafür, dass wir die Pandemie dauerhaft in den Griff bekommen, insbesondere im nahen Herbst. Auch eine ganz wichtige Voraussetzung für eine sicheren Unterricht an den Schulen im neuen Schuljahr, das ja in einigen Bundesländern bereits begonnen hat.
Ob sich die hohen Impfquoten, die in repräsentativen Befragungen durch das RKI ermittelt wurden, bestätigten werden, muss natürlich noch abgewartet werden. Repräsentative Umfragen sind natürlich auch fehleranfällig, es kann gut sein, dass der ermittelte Wert von 79 Prozent einer näheren Untersuchung nicht standhalten wird.

Deutschland ist Entwicklungsland bei der Datenerfassung

Die gestrige Meldung zeigt, sollte sie sich bestätigen, aber auch schonungslos die weiter bestehenden massiven Lücken und Probleme bei der Digitalisierung und in der Datenpolitik in Deutschland auf. Wir haben das monatelange Chaos mit Fax und Zettelwirtschaft in den Gesundheitsämter erlebt, bei der Kontakt-Nachverfolgung wie bei der Datenübermittlung zwischen Laboren und Ämtern.
In Sachen Datengrundlage ist Deutschland seit Beginn der Pandemie teils im Blindflug unterwegs, das zeigt der Vergleich in andere Länder: In Großbritannien beispielsweise wird im Rahmen des sogenannte „COVID-19 Infection Survey“ eine regelmäßige Stichprobe, ein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung, zur Infektionslage durchgeführt. An der britischen Corona-Politik gab es sicher zu recht viel Kritik, die britischen Behörden konnten aber auf einer deutlich besseren Datengrundlage arbeiten als die deutschen.
Der Medizinstatistiker Prof. Gerd Antes weist seit Monaten auf die strukturellen Defizite bei der Erfassung der Corona-Daten hin – und appelliert an die Politik, von Vorbildern in angelsächsischen Ländern zu lernen.
Bereits seit Monaten ist die hohe Diskrepanz zwischen ausgelieferten und offiziell als verimpft gemeldeten Impfdosen auffallend, ist die Art und Weise, wie das Bundesgesundheitsministerium die Daten meldet, teilweise in der Kritik. Hinzu kommt, dass es monatelange rechtliche Unsicherheit bei der Frage gab, wie viele Impfdosen aus einem Fläschchen Biontech gezogen werden dürften: Sind es fünf, sechs oder sieben? Die Praxis unterschied sich teils von Bundesland zu Bundesland, in Impfzentren wurde anders gearbeitet als in Arztpraxen. Dass sich daraus auch Probleme bei der Datenerfassung zu Impfungen ergeben können, liegt auf der Hand.

Es geht jetzt nicht darum, wer schuld ist

Wir müssen jetzt mit Hochdruck das Datenchaos rund um die Pandemie-Entwicklung und zur Impfquote in den Griff bekommen – und zwar in den nächsten Wochen. Der Herbst steht vor der Tür. Nicht die Frage, wer daran schuld ist, dass es in den letzten Monaten bei der Datenerfassung offenbar nicht rund lief, sollte dabei nicht Fokus stehen, sondern die Frage, wie wir die Probleme schnell beheben können. Was wir von anderen lernen und übernehmen können. Denn nur auf der Basis solider Daten können wir zuverlässig durch den Herbst und Winter navigieren.