Die Zukunft des regionalen Einzelhandels

Veröffentlicht am 17. Juli 2020

Der Onlinehandel gilt als großer Profiteur der Corona-Krise. Während regionale Händler*innen im stationären Einzelhandel ihre Läden schließen mussten, konnte das Online-Geschäft weitgehend ungeachtet der Pandemie fortgeführt werden und deutlich an Umsatz gewinnen. Der Internet- und Versandhandel erzielte mit gut 24 Prozent das größte Umsatzplus zum Vorjahresmonat.

Der Handel vor Ort leidet hingegen oftmals unter Existenzangst und verzeichnete in der Krise erhebliche Umsatzeinbußen sowie auch Geschäftsschließungen. Zahlreiche Handelsbetriebe haben in der Krise Insolvenz angemeldet. In den nächsten Wochen und Monaten müssen wir wohl mit weiteren Geschäftsschließungen rechnen. Die Umsätze in einigen Einzelhandelsbranchen sind stark zurückgegangen. Im gesamten non-food-Bereich fielen die Umsätze im April um 14,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Den größten Umsatzeinbruch verzeichnete der Einzelhandel mit Textilien, Bekleidung, Schuhen und Lederwaren mit einem Minus von über 70 Prozent im Vergleich zu April 2019. Dies ist der stärkste Umsatzrückgang im Einzelhandel mit Nicht-Lebensmitteln seit Beginn der Messung 1994. Gleichzeitig sorgte die weiterhin starke Nachfrage nach Gütern des täglichen Bedarfs zu erhöhten Umsätzen in anderen Bereichen. Etwa in Supermärkten setzte die Branche im April 6,2 Prozent mehr um als im Vorjahr. Es zeigte sich aber auch: Einzelhändler, die bereits digitale Geschäftsmodelle als zweites Standbein aufgebaut hatten, kamen deutlich besser durch die Krise. Digitalisierte Unternehmen waren hier aus offensichtlichen Gründen im VorteilDie Digitalisierung kann uns somit dabei helfen eine krisenfestere Wirtschaft zu bauen.

Mit digitalen Lösungen weiterkommen

Wenn der regionale Einzelhandel eine Zukunft haben will, muss er sich nachhaltig transformieren und sich ein zweites digitales Standbein aufbauen. Politik muss die Händler*innen bei dieser öko-digitalen Transformation unterstützen.

Dieter Janecek

Beim Gespräch im Rahmen der Online-Veranstaltungsreihe der Bündnisgrünen Bundestagsfraktion zu digitalen Lösungen für die Corona-Krise mit der Wissenschaftlerin, Nina Hangebruch, mit der Referentin beim Handelsverband Deutschland (HDE), Dara Kossok-Spieß und mit der Initiatorin einer online Plattform für regionales Einkaufen, Lakhena Leng, hat sich klar herausgestellt: Als Katalysator verschärft die Corona-Krise lediglich einen Trend, mit dem wir schon vor der Pandemie zu kämpfen hatten. Wir erleben eine zunehmende Marktmacht der großen Player des Onlinehandels, mit stetig wachsendem Marktanteil am Einzelhandel, dessen Gesamtumsatz um etwa 10 Prozent pro Jahr wächst, v.a. im non-food-Bereich bei Bekleidung oder Elektroartikel. Die großen online Shopping-Plattformen erlangen immer mehr Anteil am Onlineumsatz (In Deutschland entfallen 2019 bereits ca. die Hälfte des Onlineumsatzes auf Amazon) und der stationäre Einzelhandel vor Ort steht unter Druck, nicht zuletzt von den Online-Riesen Amazon, eBay oder Zalando. Gerade die Lage für kleine und mittlere Städte wird schwieriger, insbesondere wenn diese im Einzugsgebiet einer Großstadt liegen – in vielen Innenstädten droht eine Verödung. Der nun beschleunigte Strukturwandel stellt die verbleibenden Einzelhändler*innen vor große Herausforderungen. Deshalb steht fest: wenn der regionale Einzelhandel eine Zukunft haben will, dann muss er sich nachhaltig transformieren und sich ein zweites digitales Standbein aufbauen. Politik muss die Händler*innen bei dieser öko-digitalen Transformation unterstützen.

Ein zusätzliches digitales Standbein schaffen

In der Corona-Krise haben wir Beispiele zwischenmenschlicher Solidarität erlebt, die wir uns auch zwischen den Ländern dieser Erde und vor allem in Europa mehr wünschen würden. Solidaritätskäufe bei lokalen Händler*innen haben gezeigt, dass die Menschen die Geschäfte vor Ort durchaus schätzen und es ihnen wichtig ist, den analogen stationären Einzelhandel zu halten. Durch veränderte Einkaufsgewohnheiten in Zeiten des digitalen Wandels verlagert sich aus verschiedenen Gründen verständlicherweise aber auch ein Teil des Konsums in den digitalen Raum. Manchmal kann man sich eben nicht die Zeit zum Bummeln in der Stadt nehmen und sucht dann lieber schnell am Rechner von zu Hause aus das gewünschte Produkt im Internet. Eine Rückbesinnung auf Regionalität und Nachhaltigkeit hat sich während der Krise dennoch angedeutet.

Die Neue Normalität wird sein regionale und nachhaltige Produkte auch von zu Hause online einkaufen zu können. Wir sind mittendrin, die Digitalisierung des lokalen Einzelhandels voranzubringen und nachhaltige digitale Geschäftsmodelle strukturell und regional zu verankern. Dies sollte nicht als einen Ersatz des analogen Handels vor Ort gewertet werden, sondern als digitale Ergänzung. In etwa 60 Prozent der Fälle geht dem Offlinekauf im Handel eine Onlinerecherche voraus. Das unterstreicht die enge Verzahnung und Relevanz von Onlinehandel für den stationären Handel. Um den verbleibenden Einzelhandel bei der Digitalisierung und dem Multi-Channel-Handel zu unterstützen und auch regional zu stärken bietet sich ein Mix aus Maßnahmen an: Eine Aufwertung öffentlicher Räume, eine bessere Nutzung von Verkehrs- und Brachflächen für die Menschen, kommunale Wirtschaftsförderung und Stadtmarketing.

Gerade die Digitalisierung bietet große Chancen, die wir für den regionalen Einzelhandel nutzbar machen sollten. Wir müssen dafür sorgen, dass der Einzelhandel schneller einen Zugang zu digitalen Vertriebswegen findet und auch langfristig auf einem zweiten digitalen Standbein steht. Das muss nicht zwangsläufig die eigene Webseite mit integriertem Online-Shop sein, sondern kann im Interesse der Verbraucher*innen über faire digitale Märkte geschehen, über die Händler*innen ihre Waren feilbieten.

 

Beschleunigter digitaler Wandel durch Corona-Pandemie

Die erzwungene und beschleunigte Digitalisierung, der wir die vergangenen Monate unterlagen, wurde laut Handelsverband aber auch, v.a. bei mittelständischen Händler*innen, gut gemeistert. Vielerorts sind bereits regionale online Shopping-Portale entstanden oder in Arbeit, auf denen Kund*innen gezielt Angebote von Händler*innen aus ihren Regionen finden. Viele dieser Plattformen sind privatwirtschaftlich initiiert. Mit dem Verbraucherportal regionales.sachsen.de gibt es beispielsweise aber auch öffentliche Initiativen. Beides sind sinnvolle Wege, den um den lokalen Einzelhandel zu stärken und die digitale Transformation zu meistern. Denn „wir machen als Kommune bereits Gewinn, wenn die Einzelhändler Gewinn machen“, sagte die Sozial-Unternehmerin Lakhena Leng.

Als Kommune machen wir bereits Gewinn, wenn die Einzelhändler Gewinn machen.

Lakhena Leng, Geschäftsführerin KONMATIK & Initiatorin von „Online Regional Einkaufen im Landkeris Ebersberg“

Geschäftsführerin und Expertin für Digitalisierung, Lakhena Leng stellt mit dem EBE-Markt für alle Unternehmen der Region Ebersberg einen Onlineshop auf die Beine. Damit schafft sie eine gemeinsame Internetpräsenz mit einer großen Vielfalt von Produkten und Dienstleistungen aus der Region und die Händler*innen können sich anfallende Kosten für die Pflege und Wartung des Onlineshops teilen. Der Erfolg solcher regionalen digitalen Märkte hängt dabei maßgeblich von deren Bekanntheit, Angebotspalette, Benutzer*innenfreundlichkeit und auch deren Lokalbezug im Vergleich zu den Online-Riesen ab.

Wer online nicht sichtbar ist, existiert nicht mehr.

Nina Hangebruch, Dipl.-Ing. an der TU Dortmund

Besonders für jüngere Menschen ist der Onlinehandel schon längst Normalität. Durch die Pandemie wurde er nun auch von älteren Menschen vermehrt genutzt und hat an Relevanz gewonnen. „Wer online nicht sichtbar ist, existiert nicht mehr“, betonte Diplom-Ingenieurin, Nina Hangebruch im Gespräch. Hierbei ist die Bereitstellung einer flächendeckenden digitalen Infrastruktur, die finanzielle Förderung, der unbürokratische Zugang zu Förderprogrammen und die Unterstützung mit Know-how für den Aufbau eines digitalen Standbeins enorm wichtig. Kümmerer in den Städten, die die Händler*innen bei der Digitalisierung unterstützen, können zum Alleinstellungsmerkmal für die Stadt werden. Deshalb haben die bayerischen Grünen, auf Initiative von Barbara Fuchs, MdL und mir, auf ihrem kleinen Parteitag, vergangenen Samstag, einstimmig einen 10-Punkte-Plan für kommunale Wirtschaftsförderung beschlossen. Darin wird u.a. gefordert, dass Landratsämter und Städte die Einrichtung regionaler, offener und digitaler Shopping-Portale aktiv fördern oder glatt selbst einrichten sollen.

 

Digitalisierung ökologisch gestalten

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Diskussion war nicht nur einfach ein digitales Standbein für den Einzelhandel zu schaffen, sondern auch einen sozial-ökologischen Onlinehandel. Dafür ist ein ressourcenschonender Einzelhandel sowie eine stadt- und klimagerechte Umstellung der Zustelllogistik erforderlich. Hier bieten sich neben Leihsystemen für (Elektro-)Lastenräder auch digitale Vernetzungspotenziale für den stationären Handel an, um bspw. Leerfahrten des Lieferverkehrs zu reduzieren. Kreis- und stadtweite Zusammenschlüsse von Einzelhändler*innen können gebündelte, regionale Bringdienste für Lieferungen noch am selben Tag initiieren und dabei unterstützt werden, um kleine und mittelständische Unternehmen bei diesen Herausforderungen zu entlasten und einzelne Auslieferungsfahrten zu vermeiden.

So schaffen wir ein Ökosystem aus regionalen Onlinehandel-Plattformen, welches den Einzelhandel für die Zukunft nicht nur krisenfester aufstellt, sondern insgesamt dezentraler, wettbewerbsfähiger und auch nachhaltiger.

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