Gescheiterte Wahlrechtsreform könnte zu XXL-Bundestag führen

Veröffentlicht am 3. September 2021

Der nächste Bundestag könnte bis zu 1.000 Abgeordnete umfassen. Das ist die Konsequenz der Verweigerungshaltung von CDU, CSU und SPD bei der Wahlrechtsreform. Grüne, Linke und FDP haben gemeinsam Vorschläge vorgelegt, die eine extreme Aufblähung des Bundestags vermieden hätten. Das Hauptproblem beim Wahlrecht heißt Bayern. Die Wählerinnen und Wähler in Augsburg, München und Nürnberg entscheiden mit ihrer Erststimme über die Größe des Bundestages – wenn sie dafür sorgen, dass die CSU dort keine Direktmandate gewinnt.

Nimmt man die aktuellen Umfragewerte als Basis und nutzt den Mandatsrechner zur Berechnung einer möglichen zukünftigen Zusammensetzung des Bundestags, kommt man – man kann es nicht anders sagen – auf erschreckende Zahlen. Berechnet man ausgehend von der jüngsten Kantar-Umfrage die Mandatszahl, dann könnte der nächste Bundestag 1019 Abgeordneten haben. Mit der jüngsten Forsa-Umfrage sind es 986, mit der jüngsten Umfrage von Forschungsgruppe Wahlen noch 941 Abgeordnete – jeweils für den Fall, dass die CSU in Bayern wie 2017 alle Direktmandate gewinnen würde. 

Egal ob 1019, 986 oder 941 Abgeordnete, mit dieser Mandatszahl wäre die Arbeitsfähigkeit des Bundestages arg herausgefordert. Und selbstredend wäre eine derartige Aufblähung des Parlaments eine Belastung für das Ansehen des Parlamentarismus und der Demokratie insgesamt. 

Das Problem: unser Wahlrecht, mit Erst- und Zweitstimme, mit 299 Wahlkreisen, mit Überhang und Ausgleichsmandaten, stößt in Zeiten eines Sechs-Parteien-Systems, in dem sich der Abstand zwischen den stärksten drei Parteien im Bereich von wenigen Prozentpunkten Unterschied bewegt, die teilweise in Umfragen sogar nahezu gleichauf liegen, an seine Grenzen. 

Bayern nimmt eine entscheidende Rolle ein

Traditionell gewinnt die CSU, die ja auch nur im Freistaat antritt, in Bayern alle oder nahezu alle Direktmandate und das obwohl auch bei den Zweitstimmen die Tendenz bei der CSU eindeutig stark rückläufig ist. Jedes CSU-Direktmandat führt deshalb zu Überhang- und Ausgleichsmandaten, ergo zu einem Aufblähen des Bundestags. 

Eine kurze Beispielrechnung: Würde die CSU nicht wie bei der Wahl 2017 alle 46 Direktmandate in Bayern gewinnen, würde sich die Mandatszahl des Bundestages bereits von 1.019 auf 995 reduzieren (Zahlen jeweils bezogen auf die Kantar-Umfrage). Würde die CSU beispielsweise, wie in manchen Prognosen erwartet, vier Direktmandate in Bayern verlieren (in München und Nürnberg), würde sich in diesem Szenario die Zahl der Bundestagsabgeordneten um satte 95 Personen verringern, von 1.019 auf 924. Würde die CSU, wie es manche Umfragen und Projektionen vermuten lassen, insgesamt sechs Wahlkreise verlieren, alle vier in München sowie die Wahlkreise in Nürnberg Nord und in Augsburg, sinkt die Größe des Bundestages weiter deutlich, auf dann 875 Abgeordnete. 

Die Wählerinnen und Wähler in Augsburg, München und Nürnberg könnten also mit ihrer Erststimme darüber entscheiden, ob der Bundestag potenziell über 1.000 oder deutlich unter 900 Abgeordnete hat, einfach indem sie verhindern, dass die CSU dort Direktmandate gewinnt. Die konkreten Werte unterscheiden sich auf Basis der verwendeten Umfrage – und es spielen natürlich noch weitere Faktoren eine Rolle. Die Tendenz ist aber stets die gleiche: Ein Direktmandat, das in Augsburg, München oder Nürnberg nicht an die CSU fällt, reduziert die Größe des Bundestages jeweils potenziell um rund 20 Mandate. 

Würden noch weitere Direktmandate der CSU verloren gehen – die Wahlkreise in Nürnberg Süd, München-Land oder im Wahlkreis Starnberg-Landsberg etwa – könnte die Größe des Bundestages weiter sinken (siehe auch HIER).

Berechnung verschiedener Szenarien zur Größe des Deutschen Bundestages in Abhängigkeit der Verteilung von Direktmandaten in Bayern
basierend auf Umfragen von
  KANTAR FORSA FGW
alle (46) Direktmandate CSU 1019 986 941
1 Direktmandat Grüne, 45 Direktmandate CSU 995 964 920
4 Direktmandate Grüne, 42 Direktmandate CSU 924 894 853
6 Direktmandate Grüne, 40 Direktmandate CSU  875 847 809

Grüne Direktmandate helfen, Überhänge zu vermeiden

Würden noch weitere Direktmandate der CSU verloren gehen – die Wahlkreise in Nürnberg Süd, München-Land oder im Wahlkreis Starnberg-Landsberg etwa – könnte die Größe des Bundestages weiter sinken.  

Dass sich Union und SPD jahrelang einer Wahlrechtsreform verweigert haben, könnte jetzt, zur Bundestagswahl 2021 also fatale Konsequenzen haben. Die CSU, die zu keinerlei Reform bereit war, die an den sicher geglaubten Direktmandaten irgendetwas ändern würde, ist sicher hauptverantwortlich für den Schlamassel, der uns droht. 

Aber auch die SPD hat bei der Wahlrechtsreform blockiert. Verantwortlich dafür vor allem die Hamburger Sonderinteressen der SPD. Johannes Kahrs, damals Sprecher des einflussreichen Seeheimer Kreises, hat sich jeder Lösung vehement entgegen gestellt. Denn in Hamburg droht im Kleinen, was in Bayern im Großen passieren könnte, nur eben unter umgekehrten Vorzeichen für die SPD. Aufgrund der Größe Bayerns sind die Auswirkungen des Wahlausgangs im Freistaat natürlich deutlich gravierender. Aber auch in Hamburg gilt: Grüne Direktmandate helfen, Überhänge zu vermeiden.  

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